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Titel
SendungsBewusstsein, Kirchliche Kriegskommunikation und die Anfänge der Radio-Predigten in der Schweiz 1925–1945.


Autor(en)
Jecker, Constanze
Reihe
Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 49
Erschienen
Freiburg 2009: Academic Press
Anzahl Seiten
203 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michael Haldemann

Würde man Radiohörerinnen und -hörer nach der ältesten Radiosendung fragen, bekäme man wohl das «Wunschkonzert», der «Nachtexpress» oder das «Echo der Zeit» zur Antwort. Diese Sendungen begleiten uns seit vielen Jahren, einige Jahrzehnte älter sind aber die Radiopredigten. Bereits Mitte der Zwanzigerjahre, als die lokalen Radiogenossenschaften die ersten Radiosendungen ausstrahlten, gehörten sie zum festen Programm. Und als die frisch gegründete Schweizer Rundspruchgesellschaft 1931 die erste nationale Radiokonzession erhielt, waren die Kirchen die einzigen namentlich erwähnten Organisationen, denen die Konzession eine Sendezeit zusicherte, und zwar explizit für die Radiopredigten.

Constanze Jecker hat als ehemalige Religionsredaktorin von Schweizer Radio DRS die Geschichte der Radiopredigten in der Deutschschweiz aufgearbeitet. Die heute als Medienwissenschafterin an der Uni Freiburg tätige Autorin beschränkte sich in ihrer Untersuchung auf den Zeitraum des Sendestarts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und untersuchte die Radiopredigt als Mittel der kirchlichen Kriegskommunikation.

Im ersten Teil werden die unterschiedlichen Haltungen der beiden grossen Landeskirchen zum Staat, zur Flüchtlingspolitik, zum Nationalsozialismus und Antisemitismus dargestellt. Je bedrohlicher die faschistischen Bewegungen in den Nachbarstaaten wurden, desto eher wurden auf kirchlicher Seite die Ideen der geistigen Landesverteidigung aufgenommen und zu einer geistlichen Landesverteidigung umgewandelt. Hierbei war der Rundfunk ein wichtiges Instrument, erreichte man damit doch die Massen im In- und Ausland. In der Vorkriegszeit kontrollierten die Radiodirektoren und eine Vortragsüberwachungskommission sämtliche geschichtlichen und religiösen Beiträge mittels Vorzensur. Kurz nach Ausbruch des Kriegs wurde die Radiokonzession ausser Kraft gesetzt, die staatlichen Behörden übernahmen die Verfügungsgewalt über die private Rundspruchgesellschaft und setzten ein umfangreiches Zensursystem ein. Diese Kontrollmassnahmen waren bei den Kirchen umstritten und führten zu zahlreichen Interventionn von kirchlichen Stellen bei der Programmleitung. Doch insbesondere Heinz Schenker, der Direktor des Radiostudios Bern und Leiter der Kontrollbehörde (Radio-Sektion der Abteilung Presse und Funkspruch), setzte bei manchen Äusserungen zu aussenpolitischen Themen oder zur Flüchtlingsproblematik den Rotstift an.

Die Kirchen waren im Laufe der Zeit mit verschiedenen Organisationsfragen für die Radiopredigten befasst. Die Auswahl von geeigneten Theologen war keine leichte Aufgabe, denn beim Radio zählte ja nicht nur die Form und der Inhalt der Predigten, sondern auch die Sprechweise der Vortragenden. Mindestens auf die Geschlechterparität mussten die zuständigen Kommissionen nicht achten: Im untersuchten Zeitraum von 1925 bis 1945 kamen bis auf eine Ausnahme ausschliesslich männliche Prediger zu Wort. Die Landeskirchen lieferten sich heftige Konkurrenzkämpfe um Programmplätze und Sendezeit, beispielsweise als es um die Frage ging, ob auch die Christkatholiken als dritte und weitaus kleinste Landeskirche ein Anrecht auf regelmässige Radiopredigten haben. 1946 wurde ein von den Kirchen lang gehegter Wunsch erfüllt; seither werden jeden Sonntag sowohl eine katholische und eine evangelische Predigt gesendet.

Im zweiten Teil ihres Buchs untersucht Constanze Jecker je vier katholische und vier reformierte Predigtmanuskripte aus den Jahren 1938 und 1940, die aus dem Studio Bern gesendet wurden. Sie stellt fest, dass die Kriegspredigten nicht nur durch eine dramatischere Sprache geprägt waren, sondern dass sie sich auch inhaltlich gegenüber den zwei Jahre früher geschriebenen Reden unterscheiden. Waren es vor dem Krieg die sozialen Spannungen, so dominieren 1940 die Themen Krieg und Wirtschaft die aktuellen Bezüge in den Predigten. Die Verantwortung für den Ausbruch des Kriegs suchten die Prediger nicht bei den politischen oder militärischen Führern, sondern in dämonischen Kräften. Dass die kriegführenden Machthaber nicht genannt, sondern nur gelegentlich als «Neuheiden» bezeichnet wurden, war wohl Ausdruck der geforderten politischen Neutralität. Erstaunlicherweise liess die Zensur aber antijudaistische Positionen zu, während die Flüchtlingspolitik und die Judenverfolgung im Gegensatz zur kirchlichen Presse in den Radiopredigten unerwähnt blieben.

Das Buch wird mit einer Audio-CD ergänzt, die eine von der Autorin gestaltete Radiosendung enthält. Hier erfährt man aus heutiger Sicht auch Amüsantes, wie beispielsweise die Anfrage an einen Priester, ob das Hören einer evangelischen Radiopredigt Sünde sei. Im Radiobeitrag werden einem die Lücken in den (Radio-)Archiven bewusst. Wie wirkungsvoller wäre es doch, wenn man die Hörbeispiele der historischen Radiopredigten im Original hören könnte! Doch leider fehlt dieses Material, weil die Predigten damals meistens live über den Äther gingen und gar nicht aufgezeichnet wurden.

Constanze Jecker will am Beispiel der Radiopredigten zeigen, wie sich die Kriegskommunikation im Schweizer Radio während der Zeit des Nationalsozialismus manifestierte und veränderte. Dies ist ihr gut gelungen, indem sie nach der Einführung in den historischen Kontext und der Geschichte der Radiopredigt eine Inhaltsanalyse einer kleinen, aber klug ausgewählten Zahl von Predigten durchführt. Sie zeigt auf, dass während des Krieges pathetischer und patriotischer gepredigt wurde als vorher. Im Buch stösst man auf einige Wiederholungen, aber auch auf hilfreiche Fazite am Ende der Kapitel. Mit den Anfängen der Radiopredigten wird nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Radioprogramm behandelt. Die Beschränkung auf diesen Ausschnitt verhilft zu präzisen Aussagen, wie sich die religiöse Ansprache des Publikums vor dem Hintergrund der Ereignisse veränderte, die sich damals in unserem Land und um uns herum abspielten. Das Buch bringt für das historisch, medienwissenschaftlich oder theologisch interessierte Publikum spannende Erkenntnisse.

Zitierweise:
Michael Haldemann: Rezension zu: Jecker Constanze: SendungsBewusstsein. Kirchliche Kriegskommunikation und die Anfänge der Radio-Predigten in der Schweiz 1925 – 1945. Fribourg, Academic Press Fribourg, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 1, 2011, S. 60-62.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 1, 2011, S. 60-62.

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